In der Schulchronik schreibt Lehrer Tolksdorf kein einziges Wort über die damaligen politischen Ereignisse, die durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 ausgelöst worden waren. In Vreden begegnete man diesem Machtwechsel in der Staatsführung ablehnend und mit unbehaglichen Gefühlen. Insgesamt war die veröffentlichte Meinung auf Seiten der neuen Machthaber, die es vorzüglich verstanden, sich propagandistisch positiv darzustellen. Schon 1933 und 1934 wurden Gesetze erlassen, mit deren Hilfe man politisch unliebsame Lehrer aus dem Dienst entfernte. Der älteren Generation ist noch bekannt, da� am 1. Oktober 1933 der damalige Konrektor der Rektoratschule in Vreden, Dr. Theodor Bäcker, aus dem Schuldienst entfernt wurde, weil er der Parteidoktrin der Nationalsozialisten nicht folgte. Bekannt ist auch das Schicksal des Ibbenbürener Rektors Karl Pöpel, der
zunächst aus dem Schuldienst entlassen, später in Vreden als Lehrer wieder zugelassen wurde, immer beobachtet von seinen nationalsozialistischen Vorgesetzten und der Gestapo. Sein Vergehen hatte darin bestanden, da� er gegen den Willen der Machthaber in der Schule Me�diener ausgebildet hatte. Im Regierungsbezirk Münster wurden 1933 insgesamt etwa drei�ig Lehrer, vor allem Rektoren und Schulräte, aus dem Dienst entlassen. Konrektor Bäcker war damals 46 Jahre alt. Die anderen entlassenen Lehrer waren alle noch jünger. Auch der damalige Amtsbürgermeister Dr. Bisping wurde von den Nazis aus dem Dienst entfernt. Lehrer und Lehrerinnen mu�ten ihre arische Abstammung nachweisen. Jüdische Lehrpersonen wurden zu keinem Staatsamt zugelassen. Religiöse Tätigkeiten in der Schule waren nicht mehr erwünscht. Kinder sollten im nationalsozialistischen Geist erzogen werden. Lehrer Tolksdorf wu�te, da� die Chronik der Schule Bestandteil von Schulrevisionen war und er sich Repressalien aussetzte, wenn er negativ über die geschilderten Zustände schrieb. Positiv mochte und wollte er sich nicht äu�ern. Also schwieg er.
Religiöse Feiern waren in der Schule zumindest nicht mehr erwünscht. Deshalb zog Lehrer Tolksdorf mit seinen Schulkindern zu einer abendlichen Weihnachtsfeier zum Hof des Bauern Benning. Auf der Tenne hatten die Kinder eine Krippe aufgebaut. Im Beisein aller Bewohner von Gro�emast wurde die Weihnachtsgeschichte vorgelesen. Dann wurden Weihnachtslieder gesungen und Weihnachtsgedichte vorgetragen. Danach führten die Kinder Reigen und Schattenspiele auf.
Als Lehrer Tolksdorf die Schule übernahm, unterrichtete er 57 Schulkinder von den Jahrgängen 1 bis 8 in einem einzigen Raum. Heute mutet uns diese Form des Unterrichts fast abenteuerlich an. Mancher wird fragen, ob Kinder unter solchen Voraussetzungen überhaupt lernen können. Die Landschullehrer der damaligen Zeit waren Meister in der Organisation von Lernstoff und Lerngruppen. Niemals entstand Leerlauf im Unterricht. Kinder, denen das Lernen leichtfiel, halfen den lernschwächeren Schülern. Die oberen Jahrgänge halfen den unteren Jahrgängen. Viele Lernstoffe wurden im Zweijahresturnus absolviert, deshalb wurden immer zwei Jahrgänge zusammengefa�t. Lese- und Sprachbücher waren auf den Unterricht von kombinierten Klassen zugeschnitten. Die besondere Sorge des Lehrers galt den Schulneulingen und den Kindern im zweiten Schuljahr, denn hier wurde der Grund für eine erfolgreiche Mitarbeit in den oberen Jahrgängen gelegt. Besonders die Mädchen der Oberklasse standen dem Lehrer hilfreich zur Seite, um die Lese- und Schreibfertigkeiten der Lernanfänger zu vertiefen.