Kirche, Staat, Schule im pädagogischen Dreiklang

Mit dem Todesjahr von Hauptlehrer Nolte neigte sich langsam aber stetig ein Erziehungssystem seinem Ende zu, das wir heute als Harmoniepädagogik bezeichnen können. Aus den Jahren des 3. Reiches war die Kirche au�erordenlich gestärkt hervorgegangen und hatte in der Bevölkerung eine hohe Akzeptanz. Die Kirche wurde gehört in Fragen der Moral und der Erziehung. Au�erordentlich harmonisch hatte sich das Verhältnis Kirche, Staat und Elternhaus in der Nachkriegszeit gestaltet. Die Schule war in dieses gesellschaftliche Bewu�tsein eingebunden. Lehrer und Schulkinder besuchten gemeinsam die Kindermesse am Sonntag und dort, wo es möglich war, auch die Schulmesse am Werktag. Der Besuch der sonntäglichen Christenlehre war für Kinder und Lehrer eine selbstverständliche Pflicht. Lehrer und Kinder bildeten bei den zahlreichen Prozessionen in Vreden eine geschlossene Einheit. Lehrer und Lehrerinnen führten die Kinder zu Betstunden und anderen kirchlichen Veranstaltungen. Sie bereiteten die Kinder auf den Empfang der 1. heiligen Kommunion vor. Es gab kaum eine Lehrerin oder einen Lehrer, der nicht die Erlaubnis zur Erteilung des Religionsunterrichts (missio canonica) von seinem Diözeanbischof erworben hatte.

Gesellschaftliche Veränderungen kündigen sich an

Doch nun riefen reformatorische und emanzipatorische Kräfte immer stärker nach Veränderungen in der Gesellschaft. Ihnen war der Einflu� der Kirche zu stark, die politische Vorherrschaft der christlich-konservativen Parteien zu mächtig und zu langdauernd, um die eigenen Vorstellungen in Moral, Politik und Erziehung durchzusetzen. Immer heftiger wurden Erziehungssysteme anderer Art propagiert, von denen uns heute der Begriff der antiautoritären Erziehung noch sehr geläufig ist. Diese liberalen Erziehungssysteme fanden starke Befürworter in der veröffentlichten Meinung. Damals begann der lautlose Auszug aus der Kirche. Zuerst wurde die Jugend, dann die Männerwelt erfa�t. Heute sind auch die Frauen von diesem Proze� betroffen. Das II. Vaticanische Konzil, das im Jahre 1962 eröffnet wurde, wollte den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen Rechnung tragen mit seiner Hinwendung zu den Problemen, die die Menschen damals und auch heute bewegen. Die Lehrerbildung wurde reformiert. Bisher wurden Lehrer für alle Unterrichtsfächer in einem viersemestrigen Studium ausgebildet. Nun erfolgte eine fächerspezifische Ausbildung in einem sechssemestrigen Studium.Die Folge war, da� immer weniger Lehrer das Fach "Religion" wählten. Heute sind Lehrer, die über die missio canonica verfügen, selten.

Lehrer Ehlker verwaltet die Schule kommissarisch

Nach dem Tod von Hauptlehrer Nolte verwaltete zunächst der Lehrer Heinrich Ehiker die Schule kommissarisch. 131 Kinder mu�ten schulisch versorgt werden. Zur Seite stand ihm die Lehrerin Hildegard Tünte, nach Antritt ihres Mutterschaftsurlaubs die von Ammeloe abgeordnete Lehrerin Gertrud Elling. Die gro�e Anzahl der Schulkinder und das Problem ihrer Unterrichtung erlaubte diesen jungen Lehrkräften keine Diskussionen um die Wertung einer neuen Pädagogik. Sie freuten sich über die 1500 DM, die damals die Gemeinde Ammeloe zur dringend notwendigen Anschaffung von Lehrmitteln zur Verfügung stellte. Ihrer pädagogischen Auffassung getreu veranstalteten sie mit den ihnen anvertrauten Kindern im Rahmen der Kindermission in St. Marien mit den Missionaren aus dem Kölner Dominikanerkloster ein eigenes Missionsprogramm in der Schule Gro�emast. Im Oktober des Jahres 1962 führten sie die Kinder geschlossen in die Gaststätte Gericks, um dort am Fernseher die Eröffnung des II. Vaticanums zu erleben.

Herr Guske übernimmt die Leitung

Am 17. April 1964 wurde der Hauptlehrer Günther Guske an die Schule GroÃ?emast versetzt und mit der Leitung der Schule beauftragt. Vorher war er an der Landschule in Wennewick als Schulleiter tätig gewesen. Nicht mehr die Kinder aus bäuerlichen Familien prägten das Bild der Schule, sondern die Kinder aus den beiden Siedlungsgebieten. Die Schülerzahl war inzwischen auf 140 Kinder angewachsen, die in 4 aufsteigende Klassen mit den Jahrgängen 1 bis 8 aufgeteilt waren. Es standen jedoch nur 3 Lehrkräfte zur Verfügung: Herr  Guske, Frau Hoffmann und Herr Terbille. Damals war der Lehrermangel so groÃ?, daÃ? die Stadt Vreden bauwilligen Lehrern verbilligte Baugrundstücke zur Verfügung stellte, um Lehrer an Vreden zu binden.

Die Schule wird erweitert

Im Schulentwicklungsplan war abzulesen, dass bis zum Jahr 1970 die Schülerzahl auf ca. 200 Kinder anwachsen würde. Notgedrungen mu�ten sich der Schulleiter, der Rat und die Verwaltung der Gemeinde Ammeloe diesem Problem zuwenden und es lösen. Man beschlo�, die Schule um 3 Klassenräume und 1 Sonderraum zu erweitern. Wäre dieser Plan umgesetzt worden, würde die Schule heute über 6 Klassenräume und 2 Mehrzweckräume verfügen, dazu über ein angemessenes Konferenzzimmer, eine Bibliothek und Lehrmittelräume. Sicherlich wäre dann auch der Neubau einer Turnhalle geplant worden. Doch die Pläne der Gemeinde wurden gestoppt mit Rücksicht auf die bevorstehende Schulreform des gesamten Schulwesens im Land Nordrhein-Westfalen, die im Jahr 1968 Wirklichkeit wurde. So erweiterte man die Schule um 2 Klassenräume und ein Dienstzimmer für den Schulleiter. Der notwendige Baugrund wurde von Bauer Hermann Schwering gekauft: insgesamt 4.500 Quadratmeter. Architekt des Erweiterungsbaus war Bernhard Wehling, der auch den Neubau konzipiert hatte.

Gemeindedirektor Paul Kemper: ein Freund der Landschulen

Im Januar 1965 konnten die neuen Klassenräume bezogen werden. Inzwischen
war das Kollegium verstärkt worden um die Lehrerin Auguste Lenting. Der damalige Gemeindedirektor Paul Kemper sorgte umsichtig dafür, da� die Schule mit modernem Mobiliar ausgerüstet wurde. Auf seine Initiative hin waren die Landschulen in Dömern, Ellewick und Zwillbrock neuerbaut, die anderen Schulen modernisiert worden. An allen Standorten seiner Landschulen hatte er moderne Dienstwohnungen bauen lassen, um die Lehrer an die Landschulen zu binden. Im Jahr 1969 mu�te er erleben, da� im Zuge der Schulreform die Landschulen in Zwillbrock, Wennewick und Dömern geschlossen werden mu�ten. Die damals erforderlichen Klassenfrequenzen wurden nicht mehr erreicht um diese Schulen zu erhalten. Auch die zweiklassige evangelische Volksschule mu�te ihre Pforten schlie�en. Diese Schule hat in Vreden wesentlich an der Integration der Flüchtlinge und Vertriebenen mitgearbeitet.

Umwandlung in eine Grundschule

Am 5. März 1968 beschlo� der Landtag mit dem Gesetz zu Neuordnung des Schulwesens die Einführung der Grund- und Hauptschule. Die Volksschule alter Prägung gab es nun nicht mehr. Die Schule Gro�emast wurde eine Grundschule. In einem Abstimmungs- und vorherigem Antragsverfahren hatten sich die Gro�emaster Eltern für eine kath. Grundschule ausgesprochen. Die Schule erhielt nunmehr die offizielle Bezeichnung "Kath. Grundschule Gro�emast". Als Vorstufe zur Schulreform wurde 1967 das 9. Schuljahr eingeführt. Die Kinder des 9. Schuljahres der Schule Gro�emast besuchten zunächst das 9. Schuljahr an der St. Marien-Schule, danach an der St. Norbert-Schule. Die Jahrgänge 5 bis 9 besuchten von 1969 an die Hauptschule der Gemeinde Ammeloe in Vreden, die zunächst im Hufeisengebäude der St. Norbert-Schule untergebracht war. Schulleiter der neugegründeten Hauptschule wurde Rektor Hoffmann, der bisher die Landschule in Lünten geleitet hatte.

Verschärfung der Unterrichtssituation in der Primarstufe

Die unterrichtliche Situation an der nun neubegründeten Grundschule verschärfte sich erheblich. Nur 2 Lehrkräfte konnten bleiben: Herr Guske und Frau Albers, geb. Lenting. Sie mu�ten 103 Kinder unterrichten. Das 1. Schuljahr hatte damals 35 Lernanfänger. Klassenlehrerin war Frau Albers. Das 2. und 3. Schuljahr umfa�te 45 Kinder. Diese Klasse wurde von Herrn Guske und Frau Albers unterrichtet. Klassenlehrer des 4. Schuljahres war Herr Guske. In diesem Schuljahr waren 23 Kinder. Der Unterricht konnte nur gelingen, wenn beide Lehrkräfte über ihre Pflichtstunden hinaus nebenamtlichen Unterricht erteilten. Beide Lehrkräfte erteilten aus Verantwortung den Kindern gegenüber wöchentlich insgesamt 12 zusätzliche Stunden.

1972 - Erweiterung des Schulbezirks um Gaxel

Obwohl die Schülerzahlen stiegen, beschlo� der Rat der Stadt Vreden im Jahr 1972 eine �nderung der Schulbezirksgrenzen, um die aus allen Nähten platzende St. Marienschule zu entlasten. Im Rahmen eines Gebietsänderungsvertrages war die neue Stadt Vreden entstanden. Die Gemeinde Ammeloe, die bisher die Stadt Vreden wie ein Kragen umschlo�, hatte politisch aufgehört zu bestehen. So war es nun möglich, da� man die Stadtschule zu Lasten einer Landschule von dem gro�en Schülerüberhang befreien konnte. Dem Schulbezirk Gro�emast wurde das gesamte Gebiet der Bauernschaft Gaxel östlich vom Venndiek mit Ausnahme des Marienhook zugeschlagen. Die Schülerzahl stieg schlagartig auf 184 Kinder, für die nur 3 Lehrkräfte zur Verfügung standen: Herr Guske, Herr Völkering und Frl. Wernken. Auf Bitten der Regierung erteilte Frau Guske 14 Stunden nebenamtlichen Unterricht in den Fächern Sport und Handarbeit. Um den Unterrichtsbetrieb aufrecht zu erhalten, erteilten die 4 Lehrkräfte insgesamt pro Woche 25 Stunden nebenamtlichen Unterricht über ihre Pflichtstunden hinaus. Alle Versuche von Herrn Guske, Klassen in andere Vredener Grundschulen auszulagern, scheiterten am Widerstand des Rates der Stadt Vreden. Er mu�te 8 Klassen bilden, von jeder Jahrgangsstufe 2 Klassen. Wegen des gro�en Lehrermangels konnte die Regierung der Schule keine neuen Lehrkräfte zuweisen. Die Folge war eine erhebliche Verkürzung des Stundenplans für alle Klassen. Dies war nicht nur in Gro�emast üblich. An der St. Norbert-Schule erhielt im Jahr 1971 ein 1. Schuljahr statt der notwendigen 20 Unterrichtsstunden in der Woche nur 12 Stunden bei einer Lehrerin, die inzwischen die Pensionsgrenze weit überschritten hatte. Im Jahr 1975 sank die Schülerzahl infolge nachlassender Geburtenfreudigkeit auf 135 Kinder. Als Herr Guske im Jahr 1983 schwer erkrankte, war die Schülerzahl auf 78 Kinder abgesunken.

1984 - Rektor Guske verlä�t die Schule
Abschiedsfeier für Rektor Guske

Rektor Günther Guske konnte sich von seiner schweren Krankheit nicht mehr erholen. Nach fast 20-jähriger Tätigkeit an der nunmehr Kath. Grundschule GroÃ?emast ging er in den verdienten, jedoch frühzeitigen Ruhestand im Alter von 59 Jahren. Mit vielen Sorgen um die Schule muÃ?te er fertig werden: mit überfüllten Klassen, mit Lehrermangel, mit einem Schulerweiterungsbau mit all den unausbleiblichen Komplikationen, besonders jedoch mit dem für ihn schmerzlichen Verlust der Oberklassen zugunsten der neugegründeten Hauptschule in Vreden nach der Verabschiedung der Schulreform im Jahr 1968/69. Von der Richtigkeit dieser Entscheidung war er überzeugt. Den Abgang der Oberklassen konnte er nur schwer verwinden. Dazu muÃ?te er dem oftmals überarbeiteten Kollegium in den Jahren 1968 und 1974 neue  umfangreiche Lehr- und Bildungspläne für die neugegründete Primarstufe vermitteln, die nicht immer den Beifall der Eltern und Lehrerschaft fanden wegen ihres wissenschaftlichen Anspruchs. Als abschreckendes Beispiel sei hier die Mengenlehre genannt, die in den damaligen Richtlinien einen überaus hohen Stellenwert hatte. Schwer gezeichnet von seiner Krankheit lebt Rektor Guske, gepflegt von seiner Gemahlin, in seinem Haus in Vreden.